Stolpern über ein Schülerschicksal

Esslingen. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat gestern 18 Gedenksteine für die Opfer nationalsozialistischer Willkürherrschaft in der Stadt verlegt. Zwei davon erinnern an Boris Ledermann, der am Georgii-Gymnasium zur Schule gegangen war.

Von Thomas Schorradt

Die Richard-Hirschmann-Straße in Esslingen hallt wider vom Lärm der Mädchen und Jungen, die auf dem Bolzplatz der Katharinenschule Fußball spielen. Gegenüber, im Haus Nummer 17, hat einst Boris Ledermann gewohnt. Das war zu einer Zeit, als die Richard-Hirschmann-Straße noch Ottilienstraße geheißen hat. Vielleicht wäre er heruntergekommen und hätte mitgespielt, eher nicht. Der damals gerade 15 Jahre alte Bub wird von den Klassenkameraden des Georgii-Gymnasiums, die mit ihm noch im Jahr 1939 die Schulbank drückten, als zurückhaltend beschrieben. Drei Jahre später war Boris Ledermann tot.
Seit gestern erinnern zwei von dem Kölner Künstler Gunter Demnig in den Esslinger Boden eingelassene Steine, zwei Stolpersteine, an das Schicksal des jungen Mannes, der dem Terrorregime der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen war. Ein Stein ist im Schulhof des Georgii-Gymnasiums einzementiert, ein zweiter mahnt vor seinem letzten frei gewählten Wohnsitz in der Richard-Hirschmann-Straße an sein Schicksal.
"Allgemeiner körperlicher Zerfall", steht auf dem Totenschein von Boris Ledermann, ausgestellt am 22. September 1941 in einem Antwerpener Militärlazarett. Vorausgegangen war ein dreimonatiges Martyrium im Konzentrationslager Breendonk im damals von deutschen Truppen besetzten Belgien. In das vermeintlich sichere Nachbarland waren die Eltern geflüchtet, weil im Nazi-Deutschland für eine Familie russischer Herkunft kein Platz war.
"Eigentlich ging es um unseren Vater. Er sollte wegen seiner Herkunft nach dem Überfall der Nationalsozialisten auf Rußland verhaftet werden", erinnert sich Boris Ledermanns Schwester Tamara Vermeulen. Die 82 Jahre alte Dame war mit ihrem Sohn Guido aus Belgien angereist, um der Verlegung des Stolpersteins in Esslingen beizuwohnen.
Eines Sonntags hätte die Gestapo an der Haustüre geklingelt und, weil der Vater nicht da war, ihren Bruder mitgenommen. In diesem Moment sei der Vater heimgekommen und habe sich den Schergen gestellt, in der Hoffnung, den Sohn freizubekommen. Für Tamara ist es eine Ironie des Schicksals, dass der Vater überlebt hat, der Bruder aber nicht. "Er ist einfach vergessen worden", vermutet die Schwester.
In Esslingen ist Boris Ledermann noch lange nicht vergessen. Schon am Morgen hatte das Georgii-Gymnasium zu einer Feier zu Ehren des ehemaligen Schülers eingeladen. Am Nachmittag haben Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 a die Stolperstein-Verlegung in der Richard-Hirschmann-Straße mit einer Lesung begleitet. Am Abend schließlich hatte die Evangelische Johannesgemeinde Esslingen des Toten gedacht. "Boris Ledermann war am 27. März 1938 hier, in der damaligen Ostkirche konfirmiert worden", erklärt der Pfarrer Christof Hermann.
Nicht weit vom Stolperstein für Boris Ledermann hat Gunter Demnig zwei weitere Gedenksteine eingelassen. In der Hindenburgstraße 48 erinnern sie an das Schicksal von Carlo Schönhaar und seiner Mutter Odette. Carlo ist als 17-Jähriger am 17. April 1942 im damals von den Deutschen besetzten Paris hingerichtet worden. Er folgte seinem acht Jahre zuvor angeblich auf der Flucht erschossenen Vater Eugen in den Tod. Wie der Vater, hatte sich auch der Sohn im Widerstand gegen die Nationalsozialisten betätigt. Nur Odette hat das Gestapogefängnis und das Konzentrationslager überlebt.

Stuttgarter Zeitung - Filder-Zeitung vom 25.11.2011

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