Eren Keskin - politischer Mut und Aufrichtigkeit

19.12.2005  (mav)  – 

[Introduction]Am Sonntag, 18. September 2005, wurde der Theodor-Haecker-Preise für politischen Mut und Aufrichtigkeit zum siebten Mal von der Stadt Esslingen an eine Person verliehen, die sich überzeugt und mit viel Courage gegen Unrecht einsetzt. Frau Eren Keskin kam einen Tag später zusammen mit Herr Sauter, dem ehemaligen Leiter des ARD-Büros in Istanbul, ans Geor-gii-Gymnasium, um mit den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstu-fe 13 zu diskutieren. Dieses Treffen wurde vom esslinger Kulturreferenten Peter Kastner ermöglicht.

[Who’s Keskin ?]Eren Keskin, die türkische Anwältin und Menschenrechtlerin kurdischer Abstammung, hat mit ihren 45 Jahren bereits eine turbulente Geschichte hinter sich: zwei Attentate hat sie, im Gegensatz zu einigen ihrer Mitabei-tern, überlebt; mit offenen Morddrohungen Ultrarechter muss sie leben; Berufsverbot wurde ihr zeitweilig auferlegt und im Gefängnis musste sie sechs Monate sitzen. Über 200 Prozesse laufen in der Türkei immer noch gegen sie, obgleich seit den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ei-nige Anklagen fallen gelassen wurden. Das Angebot von Deutschland, ihr politisches Asyl zu bieten, lehnt sie ab, um weiterarbeiten zu können.

 

Eren Keskin ist eine kleine, auffallend zierliche Frau. Wie viel Stärke die 45-Jährige in ihrem Leben bereits bewiesen hat, wurde schnell deutlich, als sie sich und ihre Arbeit den Schülern kurz vorstellte. Zwei bewaffnete Anschläge, die auf sie verübt worden waren, hat sie überlebt, sie hatte Berufsverbot und saß im Gefängnis. Angebote aus Deutschland, dorthin zu flüchten und Asyl zu beantragen, hat sie dennoch entschieden abgelehnt. Auch wenn seit den Verhandlungen über einen möglichen Beitritt der Tür-kei zur EU einige Anklagen gegen sie fallengelassen worden seien, liefen noch immer 200 Prozesse.

verlieh man den Theodor-Haecker-Preis in diesem Jahr zum siebten Mal. Zum siebten Mal also hatte der Gemeinderat aus zahlreichen Vorschlägen der Bürger einen Menschen auserkoren, der sich mit viel Courage gegen Unrecht stellt:Frau Eren Keskin, türkische Anwältin und Menschenrechtlerinmutig, konsequent, mit einem hohen Risiko und aus Überzeugung gegen Unrecht und Unwürde streitet,eine türkische Anwältin kurdischer Abstammung, die trotz Gefahr für ihr Leben in der Türkei für die Wahrung der Menschenrechte kämpft. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des IHD’s (1986 gegründete kurdische Men-schenrechtsvereinigung) und Mitbegründerin der Frauenhilfeprojektes (Rechtshilfe für Opfer von Vergewaltigung und Übergriffen).

Der Preis, dessen Namensgeber in Zeiten des Nationalsozialismus Wider-standskämpfern wie der „Weißen Rose“ Auftrieb gab, steht im Grunde für all das, was jeder ohne Bedenken auf seine Fahne schreiben können soll-te: Friede, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Dass dies jedoch [u.a.] nicht in der Türkei der Fall ist, beweisen die Re-pressalien, denen Frau Eren Keskin und ihre Mitarbeiter des IHD’s ausge-setzt sind: zwei glücklicherweise fehlgeschlagene Attentate, offene Morddrohungen Ultrarechter und etliche bereits begangene Morde an Mitarbeitern der nichtstaatlichen Organisation. Frau Keskin selbst wurde (wie oft weiß sie selbst nicht mehr genau) immer wieder wegen „Meinungsäußerungsdelik-ten“ verklagt und auch schon 6 Monate inhaftiert.

unbedingte Notwendigkeit der Stimmen gegen Gewalt, Unterdrückung und Verletzungen der Menschenrechte, vor allem in einer modernen Wirt-schaftsmacht und einem „Schmelztiegel von Islam und Christentum“ wie die Türkei.

Auch der Fernsehjournalist Dieter Sauter, der die Laudatio hielt, machte noch einmal die Dringlichkeit der Wahrung der Menschenrechte deutlich und gleichzeitig die Widersprüchlichkeit in den 90ern, wenn in Brüssel von einem „insgesamt richtigen Weg“ der Türkei die Rede war, während dort vor allem im kurdischen Osten die Zahl „außergerichtlicher Exekutionen“ anstieg. Gerade hinsichtlich des möglichen EU-Beitritts der Türkei sei ein „genaues Hinschauen“ nötig, wie auch Aktivisten/-innen im Sinne Frau Keskins.

Der zierlichen kleinen Frau, der für den richtigen Abstand zum Mikrofon schnell noch ein Absatz unter die Füße geschoben wird, sieht man ihre Stärke und Größe (im metaphysischen Sinne) nicht an.[What was the discussion about ?]Frau Keskin sprach in ihrer Rede die Diskrepanz der türkischen Gesetze und der Realität direkt an, ebenso wie die Übergriffe auf Frauen, die als „Kriegsbeute“ angesehen und misshandelt werden, um den auf patriarcha-lischem Verständnis begründeten „Ehrverlust“ des Gegners zu verursa-chen.Sie sehe den Preis als ein „Symbol gegen Faschismus und Chauvinismus“, als „sehr wertvoll für alle Menschenrechts-Aktivisten/-innen in der Türkei“. Und auch wenn sie nur zwei Tage nach dieser Rede bereits ihren Rückflug in eine „innen- und außenpolitisch militärbestimmte Türkei“, in der „das Militär die größte Kapitalmacht“ darstellt, in der Menschen aufgrund ihrer politischen Identität, aber auch ihrer sexuellen Orientierung (Homosexuel-le) inhaftiert werden, verschwinden und ermordet werden, bleibt sie zu-versichtlich angesichts der ihr weiterhin drohenden Gefahren und weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Annäherung der Türkei an europäische Richtlinien das Land positiv beeinflussen könne, da die „unterdrückenden Kräfte so geschwächt werden“.

Kritik an EuropaWas man ihr denn vorwerfe?, hakt eine Schülerin nach. "Ich habe beispielsweise das Wort ,Kurdistan' verwendet, was mir als separatistische Propaganda ausge-legt wird, oder ich hätte angeblich das Militär beleidigt", berichtet sie, ihre Worte werden von einer Dolmetscherin ins Deutsche übersetzt. Auch wenn es zivile Par-teien gebe, werde die Außen- wie die Innenpolitik vom Militär bestimmt, be-schreibt Keskin die Situation in ihrer Heimat. "Das Militär ist zudem noch eine große Industriemacht - das ist gefährlich." Die Beitrittsgespräche hätten ihre Ar-beit - Keskin ist stellvertretende Vorsitzende des Menschenrechtsvereins Isan Haklari Dernegi und Mitbegründerin eines Frauenhilfeprojekts, das Vergewalti-gungsopfern Rechtshilfe gewährt - teilweise etwas einfacher gemacht. Am Grundproblem habe sich in der Türkei aber wenig geändert: "Folter ist immer noch ein legitimes staatspolitisches Mittel, aber es werden jetzt Foltermaßnah-men angewendet, die weniger sichtbare Zeichen hinterlassen, also schwerer zu beweisen sind." Und nach wie vor gebe es für diejenigen, die anders als der Staat dächten, keine Meinungsfreiheit."Es ist nicht so, dass es gar keine Entwicklung gibt, aber sie ist sehr langsam. Immerhin wird über Folter diskutiert", antwortet Eren Keskin einem Schüler, der sich wundert, warum es bis jetzt nicht gelungen sei, die Gewalt gegen Unschuldi-ge zu unterbinden. Aber Keskin, die sich in Fahrt redet, wenn es um ihre Sache geht, übt nicht nur Kritik an ihrem eigenen Land, sondern deckt auch Versäum-nisse der Europäer auf. "Sie verlangen die Einhaltung der Menschenrechte, lie-fern selbst aber Waffen an die Türkei." Mehrfach ist an diesem Vormittag die Frage ein Thema, ob und wann die Türkei Teil der Europäischen Union werden soll. Keskin glaubt nicht daran, dass die eigentliche Macht in ihrem Land, das Mi-litär, mehr als eine privilegierte Partnerschaft anstrebe. "Sonst würden sie ihren Einfluss verlieren." Dieter Sauter hält an sich schon den Verhandlungsprozess für wichtig, damit dadurch ein Wandel in Gang komme. Vor allem der Sektor Bildung sei in katastrophalem Zustand. Hier müsse sich sofort etwas ändern, denn ohne Bildung werde es auch in Zukunft keine Rechtssicherheit, keine moderne Verwal-tung und keine Industrie geben, die auf der Höhe der Zeit sei.[Summary]Dass so herausragende Persönlichkeiten wie die diesjährige Preisträgerin Eren Keskin, für ihre mutigen Leistungen geehrt werden müssen steht au-ßer Frage.Doch dass sie in der heutigen Welt noch Ausnahmen darstellen, bleibt ein Angriffspunkt der Politik und aller, die sich gegen sie stellen, denn sie stel-len sich gegenFrieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

Von Larissa B.; Onlineüberarbeitung Markus V.

Eren Keskin mit ihrer Dolmetscherin