Thomas Glavinic

Zeitungsartikel unserer Schülerinnen und Schüler

Über die Lesung von Thomas Glavinic gestalteten Schülerinnen und Schüler der Kursstufe 1 eine Zeitungsseite mit folgenden Beiträgen:

 

Thomas Glavinic liest am Georgii-Gymnasium aus seinem Roman „Das größere Wunder“

Welten schaffen und Herausforderungen suchen


Wie stellt man sich als Schülerin oder Schüler einen Schriftsteller vor? Die meisten haben da ein ganz bestimmtes Bild im Kopf: Er ist sehr korrekt, distanziert, vergeistigt und ziemlich schülerfremd. Er gibt sich ganz dem Schreiben hin, pflegt nur wenige, ihn im Schreiben fördernde Kontakte und verfasst aus der Kraft der Einsamkeit heraus Werke, die in seinem Kopf entstanden sind, dort ein Eigenleben geführt haben und nun detailversessen eine Welt abbilden: mit entlegenen Schauplätzen, absonderlichen Personen und schicksalhaften Ereignissen. Jeder, der mit solchen oder ähnlichen Vorstellungen in die Aula des Georgii-Gymnasiums zur Lesung von Thomas Glavinic kam, wurde sehr überrascht, denn teils treffen sie fast wider Erwarten doch ein Stück weit zu, teils verfehlen sie aber auch den seinen jüngsten Roman präsentierenden und mit ihm auch sich selbst vorstellenden Autor gänzlich.

Schon die ersten Sätze, gesprochen in leicht österreichischer Klangfarbe, wirkten bannbrechend auf alle Schüler und Lehrer, die in der Aula Platz genommen hatten und sich schon seit Tagen auf dieses Ereignis freuten. Mit einem lockeren „Guten Morgen“ begrüßte Thomas Glavinic seine Hörerschaft und fragte als Erstes, ob sie es nicht auch besser fänden, wenn die Schule immer erst um neun Uhr beginnen würde; er selbst nämlich, fügte er sogleich hinzu, wisse aus eigener Erfahrung mit seinem Sohn, dass 7:45 Uhr eindeutig zu früh sei. Mit diesem Vorschlag zur Entspannung des Schullebens, dem die große Mehrheit im Publikum uneingeschränkt folgen konnte, hatte Thomas Glavinic seine Hörer für sich gewonnen.

Er begann seine Lesung mit einem Ausschnitt aus seinem neuesten Roman „Das größere Wunder“ und sofort sprang der Funke über. Alle waren sehr aufmerksam; das erwartungsvolle Schweigen und die gespannte Ruhe wurden, außer im immer wieder aufkommenden herzlichen Gelächter über humorvolle und witzige Passagen, durch nichts unterbrochen. Die ebenso geschmeidige wie männlich sonore Stimme des Autors aus Wien ließ die Welt des Romans mit nuancierter Einfühlsamkeit und einprägender Deutlichkeit entstehen.

Anschließend gab Thomas Glavinic ausführlich Auskunft über strukturelle und inhaltliche Fragen zu seinem Roman, welche er so verständlich beantwortete, dass man einen genauen Einblick in die Konzeption und die Handlung des Buches erhielt. Wie nebenbei erzählte er von sich aus von seinem vom Schreiben geprägten Leben als Schriftsteller: etwa dass er jeden Tag mindestens genau zwei Seiten aufs Papier bringen müsse oder immer von Ausnahmezuständen schreibe, weil das normale Leben langweilig sei. Er benannte seine Orte der Inspiration. Sie sind rund um den Globus verstreut: Thailand, New York, Berlin, Wien und, seine Lieblingsstadt, Rom. Großen Ideen für einen Roman wachsen jedoch nicht nur an diesen Orten, sie entstehen auch beim monotonen Autofahren auf der Autobahn, oder wenn er, wie er sagte, sinnlos in Cafés herumsitze. Mögliche Beobachter, so merkte er verschmitzt an, würden ihn daher wahrscheinlich als einen Faulenzer oder Tagedieb bezeichnen, was natürlich ganz und gar nicht der Fall sei. Denn er ist entschieden der Meinung, dass neben dem unbestreitbaren Talent auch Inspiration unbedingt zum Schreiben dazugehöre. Dass das bei ihm unstrittig der Fall ist, davon konnten sich die Zuhörer bei seiner Lesung bestens überzeugen. Beides spiegelt sich nämlich in jedem der Kapitel seines Romans beeindruckend wider.

Schon als kleiner Junge fand er, dass Schriftsteller Genies seien, und wollte deshalb auch schon immer Schriftsteller werden. Trotzdem begann Glavinic seine berufliche Karriere nicht sofort mit dem Schreiben, sondern so richtig erst nach der Matura und einem etwas ziellosen Studium, wobei er sich zunächst als Taxifahrer durchschlug und sich später als Werbetexter versuchte. Doch als er dann endlich begann, Bücher zu schreiben, fand er schnell heraus, dass man „beim Erschaffen einer eigenen Welt“, wie er das Verfassen eines Romans beschreibt, auch leicht scheitern kann oder mehrere Anläufe braucht. Aber das sei gerade das Spannende am Schreiben, meinte er, denn dadurch ergeben sich oft auch beim Schreiben selbst Überraschungen und Wendungen, die er sogar bei der sechsmonatigen Vorarbeit noch nicht habe kommen sehen. Außerdem wäre das Schreiben ja viel zu langweilig, wenn man von Anfang an wüsste, dass es auf jeden Fall klappt, da würde die Herausforderung fehlen. Glavinic vertraute daraufhin seinen Hörern an, dass ihn das auch sehr unsicher mache und er deshalb jeden neuen Roman vor der Veröffentlichung nur wenige Freunde lesen lasse. Solche Äußerungen, mit denen Glavinic auch einen Einblick in seine Gefühle gewährte, brachten ihn seinen Hörern als Person nahe und machten ihn umso sympathischer.

Schon zu Beginn des Schreibens wisse er meistens, wie der Roman ausgehen wird. Bei seinem jüngsten Roman „Das größere Wunder“, wusste er beispielsweise bereits Jahre vor Fertigstellung und Veröffentlichung das Ende der Geschichte und wie der letzte Satz lauten werde.

Glavinic verbringt jedoch nicht sein ganzes Leben mit dem Romanschreiben. Er verdient einen Teil seines Geldes mit dem Verfassen von Kolumnen, auch wenn diese ihm nicht alle Spaß machen. Trotzdem kommt der Spaß in seinem Leben definitiv nicht zu kurz. Falls es mal zu langweilig werde, stelle er einfach auf die Seite seines Namens bei Wikipedia absichtlich falsche Informationen ein, um dann herauszufinden, ob es jemand bemerkt. Dieses hinterlistige Spiel mit der Wahrheit kommentierte er aber sofort lachend: „Merkt keiner!“, denn dass er selbst zum Beispiel keine Hörspiele schreibt, habe noch niemand verbessert.

Über jede Frage aus dem Publikum zeigte sich Thomas Glavinic erfreut und beantwortete alle gerne, wobei er nicht nur über seine Werke sprach, sondern sich auch nicht scheute, weitere Einzelheiten über sein Leben preiszugeben. Große Aufmerksamkeit rief bei allen Zuhörern die Frage hervor, ob Glavinic denn früher in Deutsch gut gewesen sei. Seine Antwort war, dass er schon gut in Deutsch gewesen sei, aber schlechte Noten hatte, weil man die Eigenart seiner Antworten und Aufsätze wohl nicht so richtig verstanden habe. Auf die Frage, was er in seinem Leben anders gemacht hätte und jetzt vielleicht bereue, gestand Glavinic, dass er, wenn er jetzt die Gelegenheit hätte, liebend gerne Medizin studieren würde und dann ein Arzt wäre, da er den Menschen persönliche Hilfe anbieten könnte, ein Ziel, das ihm erst jetzt bewusst geworden sei.

Thomas Glavinic zeigte sich als ein durch geistreiche Einlassungen faszinierender, Humor mit einem guten Schuss Selbstironie versprühender, herzlich willkommener Gast am Georgii-Gymnasium, den empfangen zu dürfen man sich nicht nur sehr freut, sondern der mit seiner einlässlichen Art, seiner Aufgeschlossenheit und seinem herben Charme einen Glücksfall für eine aufnahmebereite Schülerschaft war. Trotz noch nicht ganz ausgestandener Erkältung hat er den Termin am Georgii-Gymnasium wahrgenommen. Mit dieser Lesung endete für ihn eine monatelange Lesereise mit einer Unmenge von Terminen an den unterschiedlichsten Orten in Deutschland und der deutschsprachige Schweiz. Da wird er nun verdientermaßen erst einmal für längere Zeit zu Hause in Wien sein.

Berrit C., Lia E., Rebecca F., Anna F., Kim S., Aileen W.

 

Biografie Thomas Glavinic

Thomas Glavinic ist 1972 in Graz, Österreich, geboren. Von sich selbst sagt er, dass er in der Schule nicht gerade die besten Noten hatte, aber da schon wusste, dass er Schriftsteller werden wollte. Nach dem Abitur war er zeitweise Taxifahrer und Werbetexter. Seit 1991 schreibt er in erster Linie Romane, immer wieder jedoch auch Kolumnen im österreichischen Magazin „Wiener“ und betont, obwohl das fälschlich auf Internetseiten steht, noch nie ein Hörspiel verfasst zu haben. Sein erster Roman mit dem Titel „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“ erschien 1998. Er handelt vom Schachspielen und hat einen deutlichen Bezug zu Glavinics Leben, da er selbst in seiner Jugend gern und gut Schach gespielt und mit 15 Jahren bei einem österreichischen Turnier sogar den zweiten Platz in seiner Altersklasse belegt hat. Der Roman kam bei der Kritik gut an, wurde in mehrere Sprachen übersetzt, schaffte aber trotz zahlreicher Auszeichnungen nicht den Sprung auf die Bestsellerliste. 2000 erschien „Herr Susi“, der zweite Roman von Thomas Glavinic. Dieser fand wenig Gefallen bei den Kritikern und fiel in ihren Besprechungen durch. Den Durchbruch schaffte er 2001 mit seinem dritten Roman „Der Kameramörder“, einem kriminalistischen Buch, das die Medien kritisiert. Der Roman wurde in höchsten Tönen gelobt, führte eine Zeit lang auf Platz eins die österreichischen Bestsellerliste an und brachte seinem Autor den renommierten Friedrich-Glauser-Preis für Kriminalromane ein. Seit diesem Erfolg, der ihn in der Literaturwelt bekannt gemacht hat, hat Thomas Glavinic noch sieben weitere Romane verfasst. Er reist sehr gern, wenn er auch, wie er gesteht, noch nicht an allen Schauplätzen, die in seinen Romanen vorkommen, gewesen ist. Das gilt insbesondere für den Mount Everest, wo sein neuester Roman, „Das größere Wunder“, erschienen 2013, zu weiten Teilen spielt. Er stand als eines von 20 für den Deutschen Buchpreis 2013 nominierten Werken deutschsprachiger Autoren auf der Longlist, gehört also zu den besten in diesem Jahr erschienenen Büchern. Thomas Glavinic lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Wien.

Jens L., Noah V.

 

 

Interview mit Thomas Glavinic

Haben Sie wegen etwas Bestimmtem mit dem Schreiben angefangen und sind dann Schriftsteller geworden?
Nein, das war einfach meine Ausdrucksform. Das war mein Weg mit der Wirklichkeit umzugehen.

Wie kamen Sie zu der Idee für Ihr neustes Buch? Waren Sie schon auf dem Mount Everest oder wollen Sie ihn noch besteigen?
Nein, aber mich hat es schon immer interessiert. Ich hab schon als Jugendlicher wahnsinnig viel übers Bergsteigen gelesen. Dabei fange ich schon hier herauf das Schnaufen an. Die fünf Stockwerke hier herauf geben mir den Rest. Ich selbst bin kein Bergsteiger und es wird aus mir auch keiner werden, weil ich gar nicht für Tätigkeiten bin, bei denen ich mich so anstrengen muss. Dennoch hab ich mich für das Höhenbergsteigen sehr interessiert und seit 15 Jahren so ziemlich alles darüber gelesen, was es gibt. Und dann, 2006, wusste ich, dass ich ein Buch über eine Mount Everest-Besteigung schreiben möchte. Ich habe daraufhin natürlich noch mehr gelesen. Außerdem habe ich einen Freund, der schon da oben auf dem Gipfel war. Das war natürlich ganz hilfreich. Also es ist nicht notwendig, alles an sich selbst erfahren zu haben, worüber man schreibt. Ich habe ein Buch über einen Kindermörder geschrieben. Da habe ich auch keine einschlägigen Erfahrungen. Es geht mit dem Schreiben auch ohne. Und zum Glück haben wir so etwas wie Youtube. Da gibst du ein „Basislager Mount Everest“ und siehst genau, wie es dort ausschaut.

Reisen Sie selbst viel?
Enorm viel. Ich habe in den letzten sieben Jahren ungefähr 25 Länder besucht. Nicht über hundert wie Jonas, aber doch schon einige. Ich fliege übernächste Woche nach Südafrika, dort bin ich einen Monat, darauf eine Woche in Österreich und dann wieder zwei Monate weg. Nächstes Jahr bin ich einen Monat in Belgrad. Länger als zwei Monate halt ich es nirgendwo aus. Wobei, das stimmt nicht ganz. Ich könnte durchaus mal fünf Monate am Stück an einem Strand in Thailand sein. Das ist mein Lebenstraum. Ja, Thailand und Strand. Mir reicht eine kleine Hütte, ein Bier, meine Schreibmaschine. Der Rest ist mir egal. Da kann die halbe Welt untergehen.

Also nutzen Sie die Urlaubszeit auch zum Schreiben?
Nein, eigentlich nicht. Urlaub ist Urlaub. Doch ein Schriftsteller ist immer ein Schriftsteller. Ich kann das nicht ausschalten. Also es vergeht dann doch kein Tag, an dem ich gar nichts aufschreibe.

Schreiben Sie hauptsächlich in Österreich?
Ja schon, da ich an meiner mechanischen Schreibmaschine schreibe. Ich glaube, die hat zehn Kilo. Die geht nicht ins Handgepäck, und auch im Koffer ist sie ein bisschen ungünstig. Also eigentlich schreibe ich nur, wenn ich zu Hause bin, woanders überarbeite ich. Ich habe alles im Notebook und kann es überarbeiten.

Schmeißen Sie auch viel weg?
Ja, aber lange nicht mehr so viel wie früher. Man kennt sich als Schriftsteller ja gut und weiß daher, was geht und was nicht. Ich verirre mich nicht mehr so leicht in einem Text. Ich habe ja schon etliche tausend Seiten geschrieben. Ich kenne mich als Schriftsteller, ich weiß, wo ich ein Experiment ansetzen kann. Es hat schon seinen Vorteil etwas älter zu werden – als Schriftsteller, aber auch nur da.

Wird nun das Schreiben an sich leichter oder geht es vielleicht schneller?
Leichter, ach Gott, wär das schön, wenn es leichter wäre. Aber es ist so, die Irrtümer werden weniger. Ich irre mich nicht mehr so sehr und brauche deswegen nicht mehr so lange. Ich mache weniger Umwege. Ich schreibe nicht ein Kapitel, das ich ganz wegschmeiße. Also manchmal muss ich einen Absatz wegnehmen, aber keine ganzen Kapitel. Gut, bei meinem letzten Buch musste ich zweimal neu anfangen und habe zweimal 100 Seiten weggeschmissen, aber das war‘s. Das war, weil es einfach so wahnsinnig komplex war. Das ist halt auch ein 500-Seiten-Buch. Und das ist etwas anderes, als wenn man ein 200-Seiten-Buch schreibt. Das übersehe ich. 500 Seiten kann man nicht mehr überblicken. Da muss man sozusagen durchtauchen und hoffen, dass einem der Atem nicht ausgeht. Wenn es nur einen Meter tief ist, ist es klar, das schaffe ich. Aber wenn es zehn Meter sind, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich das schaffe.

Wie lange dauert es von der Idee bis zum fertigen Buch?

Die Idee habe ich meistens sechs Monate, bevor ich die erste Zeile schreibe. Mittlerweile dauert es länger, weil ich so viele andere Dinge zu tun habe. Ich bin jetzt seit Ende August auf Lesetour unterwegs. Also ich schreibe jeden Tag zwei Seiten. Immer zwei Seiten und breche dann ab, auch mitten im Satz. Das ist gut, denn dann weiß ich am nächsten Tag, wo ich anfangen soll. Ich komme gleich rein, das ist praktisch, es ist wieder frisch. Ich überarbeite die zwei geschriebenen Seiten und schreibe zwei neue. So geht das dahin. Nach drei Wochen, zack und aus, kann ich nicht mehr, mache ungefähr drei Wochen Pause und dann schreibe ich weiter. Auf diese Art und Weise entsteht nach und nach das Buch mit Überarbeitung und Korrektur. Nach zwei Jahren etwa ist es fertig. Ich gebe es noch einigen Privatlektoren, die schauen es sich an. Ich überarbeite es nochmal und nochmal und dann kriegt es irgendwann der Verlag. Es dauert nochmal so ein halbes Jahr bis ein Jahr, bis das Buch schließlich erscheint. Im Grunde ist das eine sehr zähe Sache.

Kommen in Ihren Romanen auch Leute aus Ihrem Umfeld vor?

Nein, die würden mich alle umbringen. Ich habe mal ein Buch geschrieben, das heißt: „Das bin doch ich“. Da geht es um den Schriftsteller Thomas G. Und ich tu so, als wäre das ich, aber das bin ich natürlich nicht. Es kommen einige Leute aus meinem Umfeld vor und ich habe sie gefragt, ob sie da vorkommen wollen. Sonst das geht nicht. Man muss den Leuten schon die Möglichkeit bieten zu sagen: „Ich möchte nicht auf diese Art in der Literatur landen.“

Tragen dann Ihre Figuren nur Namen, die in Ihrem Bekanntenkreis nicht vorkommen?

Ich kenne schon einige Maries, meine große Jugendliebe hieß Marie. Vielleicht hat das damit zu tun, dass immer, wenn es bei mir um die große Liebe geht, die Frau Marie heißt, aber jetzt ist es vorbei. Es ist nicht mehr aktuell. Aber ich mag den Namen so gern. Marie und Julia sind die zwei schönsten Frauennamen. Namen sind schwierig, man muss das Gefühl haben, dass er stimmt. Der Name muss zu der Person passen, ich kann nicht einen ganz weichlichen Mann Zack nennen. Das geht nicht. Es darf nicht zu dick aufgetragen werden. Und jemanden Fröhlich mit Nachnamen zu nennen ist auch gefährlich. Weil das so schwierig ist, nehme ich immer Jonas. Mir fällt kein anderer Name ein. Das ist in meinen Büchern schon derselbe Charakter, nur mit einer anderen Biografie. Nebenfiguren bekommen immer nur Nachnamen, Vornamen nur die wichtigen. Ich habe ein Namenswörterbuch, eigentlich zwei, da schau ich nach, was der Name bedeutet. Mein Name Thomas bedeutet der Zwilling. Ich weiß immer noch nicht, was das bedeuten soll, heißt das, dass mir ein Teil fehlt? Bei Jonas ging es mir mehr um die Geschichte in der Bibel. Und den anderen Grund für den Namen verrate ich in keinem Interview.

Welche Themen interessieren Sie beim Schreiben besonders?
Ich schreibe über Dinge, die mir wichtig sind. Motive sind bei mir Angst, Einsamkeit und Liebe. Vereinfacht gesagt bin ich ein Mensch, der sich für Liebe interessiert, dem das wichtig ist, für den Beziehungen ein wichtiges Thema sind und schon immer waren. Angst ist für mich auch ein großes Thema: Ich kann heute noch nicht ohne Fernsehen schlafen, z.B. hab ich also Angst in der Nacht. Für mich ist Angst und Einsamkeit ein Thema aus verschiedenen Gründen. Und das, was ich im Buch schreibe, ist nicht autobiografisch im eigentlichen Sinn, also mir ist das so nicht passiert. Aber meine Idee ist, dass der Mensch dahinter etwas empfindet. Es gibt keine gelungenen Bücher, die von etwas anderem handeln als dem, was der, der das schreibt, empfindet.

Alexia A., Daniel B., Berrit C., Jakob G., Manuela H., Yannick M., Vivien R., Sarah T.

 

Rezension:

Auf der Suche – Kuriositäten und Wunder eingeschlossen


In Thomas Glavinics Roman „Das größere Wunder“ begibt sich der Protagonist Jonas auf die Suche nach sich selbst und nach seiner großen Liebe. Gekonnt wird der Roman in zwei Handlungsstränge aufgeteilt, die sich pro Kapitel abwechseln: Der eine zieht sich durch die eisigen Höhen des Mount Everest, der andere reiht das Leben von Jonas auf, angefangen in seiner Kindheit, und wird über viele Stationen zielsicher weitergesponnen bis zur Besteigung des Mount Everest.
Dass diese Erlebniskette einzigartig und ungewöhnlich ist, wird dem Leser bald klar: Da Jonas und sein geistig zurückgebliebener Zwillingsbruder Mike bei ihrer alkoholsüchtigen Mutter kein wirkliches Zuhause haben und eines Tages einer der wechselnden mütterlichen Liebhaber Jonas gegenüber rohe Gewalt anwendet, werden sie kurzerhand vom Großvater seines besten Freundes Werner aufgenommen und adoptiert. In dessen Haus erleben sie eine Kindheit in weitest gehender Freiheit, ohne Regeln und Zurechtweisungen Piccos, wie der Großvaters von allen genannt wird, oder des Hauspersonals, das sich um ihr Wohlbefinden kümmert.
Als dann zuerst Mike, später Werner und schließlich Picco innerhalb kurzer Zeit sterben, steht Jonas alleine und mit mehr Geld da, als er jemals ausgeben kann, reist wie ziellos durch die Welt und erfüllt sich die kuriosesten Wünsche: von einer eigenen privaten Insel, bis zu einem fünfstöckigen Baumhaus. Trotzdem fühlt er sich nie ganz zufrieden, nie findet er etwas, das ihn langfristig bindet – weder der ihm zur Verfügung stehende Luxus noch die von ihm ersehnte, aber sich bei ihm zunächst nicht wirklich einstellende Liebe gewähren ihm Glück und Erfüllung.
In den Basislagern des Mount Everests erlebt Jonas die Herausforderungen, die die Höhe an den Körper stellt, was Glavinic sehr genau schildert und womit er gründliche Recherchearbeit über Umstände und Strapazen einer Besteigung des größten Gipfels der Erde nachweist. Den Vertrag für diese Expedition hat Jonas unter Alkoholeinfluss unterschrieben, doch scheint dieses Unterfangen zu seinem bisherigen suchenden und sich selbst herausfordernden Leben genau zu passen. Die Spannung, ob es Jonas nun auf den Gipfel schafft oder nicht, bleibt durch das ganze Buch erhalten, jedoch lesen sich diese Kapitel etwas schwerfälliger als die über den Verlauf des Lebens von Jonas mit ihren vielfältigen Überraschungen.
Der Leser wird zudem auf die Folter gespannt, was nun mit Jonas' großer Liebe Marie passiert. Er hat sie eher zufällig getroffen, vor ihren Augen eine eigenartige Mutprobe absolviert und mit ihr eine kurze, erfüllte Zeit erlebt, bis sie sich unverhofft von ihm getrennt hat. Immer wieder taucht sie in seinen Gedanken auf, so dass sich nach und nach ein Bild von ihr ergibt und man Näheres von der die beiden betreffenden Liebesgeschichte erfährt. Glavinic' Art diese Erlebnisse als Bruchstücke in die Handlung einzubauen, trifft genau auf die Vorgänge im Kopf eines Menschen zu, dessen Herz immer noch an einer einzigen verloren geglaubten Person hängt: Die Gedanken schweifen regelmäßig und unwillkürlich zu ihr hin.
Gerade die vorletzte Seite des Romans ist auf eine sehr kunstvolle Art geschrieben. Sie gibt schemenhaft das Gespräch zweier Personen wieder und der Leser ist dazu angeregt, sich selbst die näheren Umstände und das Geschehen vorzustellen. Diese Spannung wird bis zum Schluss gehalten und nicht mehr ganz aufgelöst.

Sarah T.

 

Teilnehmerstimmen

eingefangen von Kai A., Jens E., Florian G. und Egor S.

Eduardo S.:
„Interessant, da der Autor sehr enthusiastisch gelesen hat.“
Sebastian S.:
„Er hat gesagt, dass er sehr schlechte Noten in der Schule hatte und es trotzdem zu etwas gebracht hat. Daher ist er jetzt mein Vorbild.“
Philip S.:
„Es war sehr spannend, so viel aus dem Leben eines jüngeren, modernen Schriftstellers zu erfahren und seine Ansichten über Bildung und Literatur kennen zu lernen.“
Jens L.:
„Ich habe mich gefragt, wie ein Schriftsteller als Person ist. Man hat ja immer diese typischen Klischees im Kopf. Und wirklich, er war ganz anders.“
Kim S.:
„Ich finde es faszinierend, wie Thomas Glavinic es schafft, zwei zeitliche Ebenen so miteinander zu verweben, dass es nicht zu verwirrend ist und dass sich das Eine aus dem Anderen erschließt.“
Noah V.:
„Ein Autor, dessen Lebensgeschichte schon eine Veröffentlichung wert ist.“
Lisa A.:
„Die Lesung von Thomas Glavinic hat mir sehr gefallen und der Autor kam mir persönlich sehr sympathisch rüber. Nicht zuletzt haben seine Lockerheit und seine kleinen Witze dazu beigetragen. Es hat auch Neugierde erweckt, das Buch zu lesen, da er unter anderem ein paar lustige Stellen vorgelesen hat.“
Florian G.:
„Ich fand die selbstironische Art von Thomas Glavinic sehr sympathisch. Meiner Meinung nach hat er auch sehr kontrolliert gelesen. Das Beeindruckende ist, wie er sich in seine eigene Geschichte vertiefen kann.“
Egor S.:
„Ein Schriftsteller, wie man ihn so nicht erwartet hätte.“

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