Kafka rumort durchs Schulhaus

Georgii-Gymnasium Esslingen

Stellen Sie sich vor, Sie gehen nichtsahnend durch einen Flur, es ist dunkel, kalt, plötzlich werden Sie von einem Vermummten gekidnappt und in einen Raum verschleppt, wo Ihnen die beklemmende Atmosphäre des nächtlich Briefe schreibenden Franz Kafka vorgeführt wird. Oder Sie streifen tief im Keller durch unheimliche, modrige Gänge, treffen auf eine unaufhörlich kaffeemahlende Person und durch die Stille hallt ein Schuss.

So erging es den Besuchern im Georgii-Gymnasium am 22. Januar 2009. Diese und weitere merkwürdig anmutende Szenarien, verteilt auf das ganze Schulgebäude, konnte man sehen, erleben und erschreckend bestaunen. Die drei Deutschkurse der Stufe 13 gestalteten einen Abend ganz unter dem Einfluss Franz Kafkas. Motto „kafkaesk“. Die Zuschauer verwirrend und verstörend wurden auf verschiedenen Schau- und Spielplätzen insgesamt elf Projekte präsentiert, vielfältig und ungewöhnlich wie Kafkas Leben und Werk. Nicht nur Klassenzimmer, wie man sie aus dem Alltag kennt, waren umgestaltet zu Bühne und Ausstellungsraum, der Besucher konnte auch in Winkel der Schule vordringen, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt: die weitläufigen Kellerräume und der finstere Dachboden. Jedem stand es frei, seinen eigenen Weg zu finden, um, auf persönliches Risiko dem eigenen Spürsinn nachgehend, in die verwirrende Welt Kafkas einzutauchen.

Vorsicht war geboten, denn Hindernisse standen im Weg. Man musste sich tief bücken, etwa um zu der Filmvorführung „Ein Landarzt“ im niederen Gewölbe unter der Aula zu gelangen. Entscheidungen waren gefordert, entweder nach rechts oder nach links zu gehen: unabsehbar ob in die Irre führend oder an ein Ziel gelangend. Wie nahe lag da, der Aufforderung nachzukommen, in der die vergebliche Suche eines Mannes nach dem richtigen Weg gipfelt: „Gib’s auf!“ Nicht selten kam ein Besucher erschreckt und vollkommen durcheinander aus einer Vorstellung. Seine widersprüchlichen Gefühlszustände, seine uneingestandenen Beziehungsängste, ja, seine unausweichliche Vergänglichkeit war ihm vor Augen geführt worden.

Man läuft einen dunklen Gang entlang, Mauern werden immer enger, plötzlich springt einen eine schwarze Katze an. Verwirrung, Angst, doch — welch ein Glück — sie ist ja nur aus Plüsch. Kafkas „Kleine Fabel“ hautnah erfahren. Drei Frauen treffen sich, Felice Bauer, Milena Jesenska und Dora Diamant. Sie sprechen über Franz, den jede kennt, aber jede anders. Eine Frage, die sich allen stellt: „Habe ich Franz wirklich gekannt?“ Ein Mann will zum Gesetz. Vielleicht will einer aber auch Bafög, um seine Zukunft zu sichern. Beide haben das gleiche Schicksal. Ihr sehnlichster Wunsch wird ihnen verwehrt. Ihr Leben ist verwirkt. Es bleibt nur noch der Tod. Um sich mental und körperlich für das nächste Abenteuer zu rüsten, konnte man sich zwischendurch im „Kafka-Bistro“ stärken.

Erstaunlich und bewundernswert war, wie viel Aufwand die Schülerinnen und Schüler für diesen Abend betrieben, um ihre Ideen zu Kafka in szenisches Spiel, in Performance und Installation umzusetzen. Nicht nur in den Stunden vor Beginn des Kafka-Abends, nein, schon Wochen vorher wurde geplant, vorbereitet, überlegt, gelacht und gelegentlich auch geflucht. Und es hat Spaß gemacht, das merkte man allen an, den Zuschauern wie auch den Ausführenden, dementsprechend eindrucksvoll waren die Präsentationen. Vermutlich hätte auch Kafka selbst, der überaus sensible und selbstkritische, an dem Gebotenen Gefallen gefunden.

Eßlinger Zeitung, 13.02.2009

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