"Sie war eine von uns"

ESSLINGEN: Georgii-Gymnasium erinnert an ehemalige psychisch kranke Schülerin, die von den Nazis vergast wurde  

„Sie war eine von uns“ - stand in großen Buchstaben über dem Eingang des Esslinger Georgii-Gymnasiums. In der Tat: Die mit gerade einmal 25 Jahren am 22. April 1941 von den Nazis in der Gaskammer von Hadamar ermordete Magdalene Maier-Leibnitz war den Schülerinnen und Schülern und den drei extra aus München angereisten Nichten in der Aula ihres ehemaligen Gymnasiums gestern ganz nah. 

Von Claudia Bitzer

70 Jahre und zwei bis drei Generationen später offenbart die Massenvernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten ihr ganzes Grauen am anschaulichsten und schonungslosesten am Einzelschicksal. Zum Beispiel an der Geschichte der jungen Frau, die 1916 im ehemaligen Kaisheimer Pfleghof an der Burgsteige geboren wurde, in der Deffnerstraße 5 bürgerlich-behütet aufwuchs, in der damaligen Burgschule und ab 1926 dann im Georgii-Gymnasium lernte, bis sie es 1932 krankheitsbedingt verließ. Nach zwei reformpädagogischen Internatsschulen und mehreren Klinikaufenthalten war sie von 1938 bis 1941 Patientin in der damaligen Privatklinik Kennenburg. Und mit der Diagnose Schizophrenie wurde sie von den Nazis als „unwertes Leben“ in der Tötungsanstalt Hadamar in Hessen umgebracht.

Zweiter Stolperstein im Schulhof
Mehr denn je gilt es, die Erinnerung an jedes einzelne Opfer wachzuhalten, die nachfolgenden Generationen „im Modus des Erzählens“ mit dem „monströsen Ausmaß des Leidens“ zu konfrontieren. So hat es Schulleiter Joachim Scheffzek bei der von Schülern auch literarisch-musikalisch umrahmten Gedenkfeier und Stolperstein-Verlegung für Magdalene Maier-Leibnitz formuliert. Dieser Aufgabe haben sich die Pädagogen, insbesondere Geschichtslehrer Ernst Kühnle, und Schüler des Georgii schon in der Vergangenheit intensiv gestellt. So hatten zum Beispiel Zehntklässler über den ehemaligen Georgii-Schüler Georg Liebel geforscht - was 2008 zum ersten Stolperstein führte, den der Kölner Bildhauer Gunter Demnig in den Schulhof des Georgii-Gymnasiums einließ. Seit gestern erinnert nun eine weitere Messingtafel im Hof an die Schwester des bekannten Esslinger Kernphysikers Heinz Maier-Leibnitz, Tochter des Universitätsprofessors Hermann Maier-Leibnitz und Nichte von Reinhold Maier, dem ersten Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Im Gegensatz zu Liebel hat Magdalene Maier-Leibnitz den Rassenwahn im Hitler-Deutschland nicht überlebt. Und vor ihrem Wohnhaus in der Deffnerstraße 5 ließ die Schule einen weiteren Stolperstein verlegen. 
Die klassenübergreifende Geschichts-AG des Georgii-Gymnasiums hatte sich in den vergangenen Monaten unter Federführung von Lehrer Kühnle intensiv mit Magdalene Maier-Leibnitz auseinandergesetzt. Basierend auf den Forschungsarbeiten der Esslinger Kulturwissenschaftlerin Gudrun S.-J. und der eigenen Auseinandersetzung mit Dokumenten, Briefen und Schülerarbeiten Magdalenes hatten sie sich auf Spurensuche gemacht. Gestern zeichneten sie anschaulich und berührend das Bild einer Schülerin mit einer Vorliebe für selbstverfasste Gedichte und mit überaus beachtlichen Arbeiten im Kunstunterricht. Ein Mädchen, das den Ansprüchen des bürgerlichen Elternhauses genügen wollte - und doch seit 1929 immer wieder krank gemeldet werden musste. Der Wechsel 1932 ins Internat Salem brachte keinen Erfolg, es folgten weitere Wechsel, eine kurzfristige Besserung und eine unglückliche Liebesgeschichte. „Die psychische Verfassung verschlimmerte sich immer mehr“, so die Schüler. 

Keine Rettung
Fünf verschiedene Einrichtungen durchlief Magdalene, bevor sie 1938 in Kennenburg Zuflucht suchte. 1939 schrieb das Stuttgarter Innenministerium an die Privatklinik, dass die „Verlegung“ ihrer Patienten notwendig sei. Die Anstaltsleitung konnte zwar sieben Menschen von der Todesliste „herunterhandeln“. Bei Magdalene gelang ihr das nicht. Für den 27. März 1941 ist ihre Ankunft in Weinsberg dokumentiert, am 22. April wurde sie nach Hadamar verlegt, wo sie noch am selben Tag vergast wurde. Der Familie wurde gesagt, sie sei am 2. Mai an einer Lungenblutung gestorben. Wie sehr das Schicksal seiner Schwester Heinz Maier-Leibnitz belastet hatte, wurde gestern durch die Schilderungen von Magdalenes Nichte Dorothee T. deutlich. Das, was sie von den Schülern über die Schwester ihres Vaters erfahren habe, „macht mich sehr beklommen. Ich habe noch nie öffentlich über sie gesprochen. Und auch mein Vater wollte das in seiner Biografie nicht“, berichtete sie über den langjährigen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. „Über Magdalene wurde in der Familie fast nur bedeutsam geschwiegen.“ Dass sie selbst sich nie getraut hatte, nach ihr zu fragen, „ist vielleicht falsch verstandener Respekt gegenüber meinem Vater“, der innerhalb eines Jahres mit dem Verlust von drei nahen Familienmitgliedern fertig werden musste. Umso mehr gelte der Dank der Familie den Schülern. Denn: „Respekt vor den Toten heißt, sich der Geschichte und der Erinnerung zu stellen.“ 

Esslinger Zeitung, 20.4.2011

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