Rezension "EisTau"

Mehr als ein Buch über Gletscher

Zeno Hintermeier, der Held in Ilija Trojanows neuestem Roman „EisTau”, ist alles andere als ein Hinterwäldler. Im Gegenteil, er ist auf der Höhe der Zeit und blickt mit ausnehmender Klarheit hinter die Kulissen unserer Konsumwelt. Er hat erkannt, dass der Mensch dabei ist, seine Welt und sich selbst zu zerstören. Das hat Zeno dazu gebracht, sein Leben radikal zu ändern, seine Stellung als renommierter Hochschulprofessor und Glaziologe an der Münchner Universität aus maßloser Enttäuschung aufzugeben, um als Lektor auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Antarktis anzuheuern und Menschen damit zu konfrontieren, dass ihre luxuriöse Lebensweise, ihr unbedachter Konsum und ihre touristische Neugier zur allmählichen Zerstörung des Lebensraums aller Menschen und Tiere auf der Erde führt. 

Trojanow selbst hat zwei Kreuzfahrten in die Antarktis unternommen, kennt also die Verhältnisse auf einem solchen Schiff aus eigener Erfahrung und fasst seine Erkenntnis in ein anschauliches Bild: Das Schiff repräsentiert die gesamte Menschheit, die sorglos Ressourcen verbraucht und blind auf Gefahren zureist, die sie selbst vernichten werden. Die Figur seines Ich-Erzählers platziert er bewusst in diese selbstvergessene, illustre Gesellschaft, distanziert sie jedoch klar von den anderen Reisenden und deren Sensationslust. Zeno versucht alles, um seine Mitreisenden, meist Rentner und Vermögende, auf die kritische Situation der Antarktis hinzuweisen. 

Das Buch überzeugt mit viel Fachwissen über Gletscher. Der Leser wird durch die fast unmerklich eingestreuten, penibel recherchierten Fakten, teilweise erschreckend, mit der Wahrheit zu diesem aktuellen Problem konfrontiert. Es bringt dem Leser sein sehr ernstes, aber doch auch sehr fremdes Thema nicht wissenschaftlich, auch wenn viel davon in die Erzählung eingegangen ist, sondern emotional nahe: etwa durch die Darstellung der Gefühle seines Erzählers beim Anblick eines sterbenden Gletschers. 

Trojanows Roman hat eine formale Eigenart: Er besteht aus zwei Teilen, die auch durch das Layout voneinander abgehoben werden. Der eine Teil gibt die Aufzeichnungen Zenos über die Kreuzfahrt und die damit verbundenen Erfahrungen sowie über seine Vergangenheit und dabei vor allem das Sterben seines Gletschers in den Alpen wieder, den er ein Wissenschaftlerleben lang erforscht hat. Der andere Teil besteht aus scheinbar unzusammenhängenden, zunächst befremdlichen Bruchstücken von Funksprüchen, Rundfunk- und Fernsehnachrichten, Schlagertextausschnitten, Slogans, Schlagworten und Allerweltsweisheiten. Auf den ersten Blick erscheint dieses Stimmgewirr ohne Anschluss an die übrige Handlung, aber im Ganzen geben diese Einwürfe klaren Aufschluss über das Schicksal der Schiffsreisenden und, was noch bedeutender ist, über den medialen Sprachwirrwar, mit dem wir täglich konfrontiert sind. Das ist Kritik am Sprechmüll, der uns täglich über zahlreiche Kanäle überschwemmt und dem wir kaum ausweichen können. 

Aufregend, abwechslungsreich und nachdenklich, so lässt sich Ilija Trojanows neuer Roman „EisTau” zusammenfassend beschreiben. Der Roman gibt einen gut recherchierten Einblick in das Geschehen des Antarktis-Tourismus und weist in aller Deutlichkeit auf die Tragik der vom Menschen selbst verschuldeten Eis- und Gletscherschmelze und deren Tragweite hin.  

Max D., Sara H.

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