Latein

Anfangsunterricht Latein

…sed ubi est Gaius? 

Die nur allzu bekannt Szene wiederholt sich: am beliebten Urlaubsdomizil gehen die großen Ferien zu Ende. Der Vater musste mit seinem ältesten Sohn schon etwas früher abreisen, weil Termingeschäfte keinen Aufschub dulden. Die Mutter mit den drei jüngeren Kindern konnte noch ein paar Tage bleiben, jetzt müssen aber auch sie wieder nach Hause: nam schola incipit, labores incipiunt. Alles ist reisefertig, da bemerkt man, dass der Jüngste fehlt. Die fieberhafte Suche – ubi est Gaius? - führt zunächst nicht zum Erfolg. Erst nachdem das gesamte Terrain abgesucht ist, stellt sich heraus: Gaius, das Schlitzohr, hat sich im Stall versteckt und trauert dort überwältigt von Abschiedsschmerz und unter Tränen mit dem kleinen Hund Argulus über das Ende der Ferien. Argulus, das ist der kleine Namensvetter des berühmten Hundes Argos, den Odysseus vor Zeiten auf Ithaka aufgezogen hatte. Schließlich  wird offenbar, was Gaius aufs Gemüt schlägt: schola incipit, labores incipiunt. Die schönen Tage sind nun vorbei.  Rührend tröstet ihn die liebende Mutter, und schließlich setzen sich die drei Reisewagen doch in Bewegung: Romam eamus!, singen Kinder, Mutter und Dienerschaft, jetzt froh gestimmt, weil es wieder nach Hause geht.  Die Kinder verfallen rasch in das gewohnte Gezanke, welches die Mutter zur Aufbietung ihres erzieherischen Instrumentariums zwingt: tacete! 

Mit diesen authentischen Bildern holt das Lehrwerk „Interesse“ die Anfänger rasch in die römische Lebenswelt zwischen villa rustica bei Tusculum und der Megametropole Rom in Reichweite. Tusculum, das ist das Sanssouci wohlhabender und mächtiger Bürger gewesen, ihr Monrepos, ihre Solitude. Etwa 30 Kilometer entfernt vom Zentrum des Imperiums hatten hier am Rande der Albaner Berge berühmte Staatsmänner ihren Landsitz. Cicero, Caesar, Lucullus, Cato, Marius – sie alle suchten und fanden in Tusculum Zeit zur Muße, zum geistreichen Gedanken-austausch, zum politischen Hintergrundgespräch, zur imposanten Demonstration politischer Macht  und zum „Relaxen“, wie man auf Neudeutsch sagen könnte.
Dabei blieb man nachrichtentechnisch so nahe an der Großstadt, dass über ein hochentwickeltes Kuriersystem innerhalb eines Tages mehrfach Nachrichten und Informationen rasch hin und hergehen konnten. Ciceros umfangreicher Briefwechsel belegt dies eindrücklich. 

Das Lateinbuch unserer 5. Klässler siedelt die Geschichte um die Familie der Volcatier genau dort an und holt nach den Sommerferien auch die Kinder des Jahres 2007 dort ab, wo sie sind, ob sie nun aus Spanien, Indonesien oder Skandinavien zurückkommen, ob sie aus Esslingen, Aichwald oder Baltmannsweiler – vielleicht einer alten villa Baltmanns – zur Schule fahren. Am Ende der 6. Klasse werden sie dann in Stein bei Hechingen am Beispiel der dort ausgegrabenen und rekonstruierten villa rustica  ziviles römisches Landleben in Germanien kennen lernen.

Bei all dem ist es nur naheliegend, dass die Kinder diese ersten Lektionen des Lehrbuchs in Szene setzen und auf die Bühne bringen. Dies geschah erneut im Rahmen der Adventsfeiern 2007 durch die beiden Latein-Klassen 5a und 5b. Mit Begeisterung, schauspielerischem Talent und Bravour haben sie sich dieser Aufgabe gerne gestellt und aus den Lehrbuchtexten ein lebendiges Stück Leben geformt. Wo nicht genug Rollen vorhanden waren, wurden sie verdoppelt oder durch zusätzliche Rollen ergänzt: auf diese Art kamen z.B. der Sklave Italus und die Sklavin Sicilia neu hinzu.  So ganz nebenbei werden auf diese Weise ansehnliche Textmengen und zentrale sprachliche Strukturen auswendig gelernt und spielend  geübt und gefestigt sowie das sorgsame Artikulieren und das wachsame Eingehen aufeinander trainiert. Und den Zuschauern soll’s recht sein, wenn auch sie daran ihre Freude haben.  Zu Recht heißt es daher im Lied der kleinen Volcatilla: „nunc gaudete cuncti!“

(J.Scheffzek)