Ulf Deutscher

Der andere Deutschunterricht: Der Schauspieler Ulf Deutscher in der Kursstufe

Wenn ein Schauspieler, noch dazu der augenblickliche Star der Esslinger Landesbühne, der – wen wundert’s – dort zur Zeit auch einen Star verkörpert, nämlich Bob Dylan, in der hoch gelobten, viel gepriesenen, das Publikum jedes Mal begeisternden, stets ausverkauften Personality-Revue „Dylan – The Times They Are A-Changin‘“, inszeniert und arrangiert von Heiner Kondschak, wenn ein Tausendsassa der Bühne wie Ulf Deutscher, der spielt, singt, tanzt und sein Können an mehreren Musikinstrumenten vorführt, wenn also der für eine Doppelstunde den Deutschunterricht übernimmt, dann – ja dann ist alles anders: Der Deutschunterricht wird zum Ulf-Deutscher-Unterricht.

Woher die Faszination des Theaters kommt, welcher Weg zurückgelegt werden muss vom Textbuch bis zur Aufführung, was die Arbeit eines Schauspielers ausmacht, all das schildert Ulf Deutscher ebenso eindrucksvoll wie kurzweilig. Er erzählt von seinen eigenen Anfängen als Schauspieler, wo er – wie er es sieht – eigentlich immer Glück hatte und die Erfolgsleiter immer weiter hinaufsteigen konnte, streift die verschiedensten Rollen, die er verkörpert hat, und verrät, warum er sich stets zu den zwielichtigen, doppelbödigen, hintergründigen Figuren und auch den Bösewichtern auf der Bühne mehr hingezogen fühlt als zu den geradlinigen, eindimensionalen, ausrechenbaren Charakteren. Das alles, und das gilt nicht nur für ihn, sondern auch für seine Zuhörer, macht Lust auf Theater.

Ulf Deutscher zeigt sich höchst aufgeschlossen für alle Fragen, die an ihn gestellt werden, und beantwortet sie präzise auf den Fragesteller hin. Er geht auf Ansichten und Meinungen ein, präzisiert, stellt richtig, klärt über Zusammenhänge und Hintergründe auf und hält mit seinen eigenen Ansichten und seiner Auffassung nicht hinter dem Berg. So kommt es zu gegenseitigem Verstehen und Verständnis und zu neuen, überraschenden Einsichten.

Die eigenartige und eigenwillige Person Bob Dylan umreißt Ulf Deutscher mit vielen Einzelheiten aus Dylans Leben, Beispielen seiner Musik und Texten seiner Songs. Die bewegte Zeit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wird lebendig mit ihren Wendungen, Errungenschaften und Katastrophen: etwa der Ermordung Präsident John F. Kennedys, der Mondlandung, des Vietnamkriegs und vielem anderen mehr. Bob Dylan bewegt sich darin, scheint sie in seiner Person zu repräsentieren und bleibt doch er selbst mit all seinen zum Teil bewundernswerten, zum Teil vertrackten, verstörenden Eigenheiten. Er ist nicht in eine Schablone zu pressen, immer überraschend, immer schwierig für alle, die Umgang mit ihm haben. An Beispielen unterschiedlicher Interpretation seiner Songs wird die Wandlung Bob Dylans hörbar. Schwierig ist es und vertrackt, Songtexte von Bob Dylan ins Deutsche zu übersetzen. Ulf Deutscher hat es unternommen, und es ist eigentlich keine Übersetzung entstanden, sondern eine höchst gelungene Übertragung: „Go away from my window“ wird zu „Geh mir aus der Sonne“.

Absoluter Höhepunkt ist es, wenn Ulf Deutscher zur Gitarre greift und selber Dylan-Songs interpretiert. Das ist in jeder Hinsicht authentisch. Er unternimmt gegen alle Erwartung nicht den Versuch, Dylan nachzuahmen, zu singen wie Bob Dylan. Dylan ist Dylan, einzigartig und so soll er es auch bleiben. Jeder noch so forcierte Nachahmungsversuch ist Abklatsch und Verfehlung. Was Bob Dylan ausmacht, ist gerade sein auf sich selber konzentrierter Individualismus. Jedes Nachsingen ist Interpretation, muss es sein und offenbart etwas von der Persönlichkeit des Interpreten: seinen Zugang, sein Verständnis, seine Vorlieben und manchmal, obwohl das möglichst vermieden wird, seine Schwächen. In seiner Interpretation aber, da brilliert Ulf Deutscher und macht sein ganzes vielgestaltiges Können hörbar. Er kennt seinen Bob Dylan, hat ihn sich angeeignet und bringt es fertig, ihn so aus seinem Eigenen wiederzugeben, dass er selbst als Vermittler und Gestalter sichtbar wird.

Zum Abschluss wirft Ulf Deutscher noch ein Licht auf Heinrich Heine, der seiner Ansicht nach in manchem durchaus mit Bob Dylan verglichen werden kann. Beide wollten sich durchsetzen, beide hatten das Ziel, bekannt und berühmt zu werden, und beide haben das mit Energie und Genie geschafft. Ulf Deutscher hat einen Heine-Abend im Programm, einen szenischen Liederabend rund um die Liebesgedichte Heines, entworfen und in Szene gesetzt von ihm selbst, und er schlüpft in dieser Produktion auch gleichzeitig in die Hauptrolle, singend, spielend, interpretierend. Dazu haben die Kursstufler im Vorlauf Liebesbotschaften verfasst und werden wohl Ulf Deutscher, diesmal in anderer Rolle, mit derselben Begeisterung wiedersehen, wie sie ihn in seiner Dylan-Revue und bei seinem Besuch im Deutschunterricht erlebt haben.

 

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