"Vergessen? Bin ich ein Tier?" (Elektra) - Die Aufführung des Literatur- und Theaterkurses der K2

25.01.2018  (C. S., Fotos: Selin Dervis)  –  Dem Wechselbad der Gefühle, dem Elektra ausgeliefert ist, stellte sich der Kurs „Literatur und Theater“ der Kursstufe 2 unter der Leitung von Kristoff Trapp. Es galt, die innere Handlung auszuloten, die widersprüchlichen Emotionen zu zeigen, die Charaktere kennenzulernen, sie in ihrem Zusammenhang begreiflich zu machen. Mit der gelungenen Inszenierung gelang es den Schülerinnen und dem Schüler des Kurses, das Publikum mitzunehmen auf eine extreme Reise durch die menschliche Seele.

Elektra ist allein. Und sie sinnt auf Rache. Auf ihren Bruder Orestes hofft sie, wartet, schöpft ihre fatale Zuversicht aus der Hoffnung auf dessen Rückkehr. Wenn er den geliebten Vater rächt, redet sie sich ein, wird ihr aufgewühltes Herz Ruhe finden.
Doch dann trifft die Nachricht vom Tod des Bruders ein. Elektra stürzt in Verzweiflung. Als aber der Bote sich als Orestes zu erkennen gibt, schlägt Elektras Verzweiflung in Jubel um. Was geschieht mit diesen Gefühlen, wenn die Rache erfolgt und die Mutter getötet ist?

Viel an äußerer Handlung passiert ja nun nicht in der Tragödie „Elektra“: Die Tochter aus dem Haus des Götterprovokateurs und Grenzüberschreiters Tantalus leidet unter dem Fluch, der auf ihrer Familie lastet. Als geringe Dienerin am elterlichen Hof trauert die Königstochter um ihren Vater, den ihre Mutter und deren Liebhaber ermordet haben. Ihre Schwester Iphigenie war vom Vater geopfert worden, um das Kriegsglück zu begünstigen; ihr Bruder Orestes war vor der Mordsucht der machtgierigen Mutter versteckt worden.

Nach einer Bearbeitung des Elektra-Stoffes von Hofmannsthal, der seinerseits auf Sophokles zurückgreift, brachten die sieben Oberstufenschüler Elektras unsägliches Leiden auf die Bühne.
Spannende Effekte, die eine Bühnenaufführung ermöglicht, wurden eingesetzt, um die Zuschauer miterleben und mitleiden zu lassen: So trug Elektras Avatar, ein einfacher Torso mit ihrem Namen, von Beginn an die eigentlich unerträgliche Bürde der Namen ihrer Vorfahren auf dem Rücken. Blutig roter Schein und eiskalte blaue Beleuchtung machten die Stimmung spürbar. Der Raum wurde ausgelotet und genutzt. Choreographisch ausgearbeitete Sprechchöre wirkten nahezu bedrohlich. Und die Schauspieler lebten ihre Rolle: Elektras wahnhafte Emotionalität stellte Celine L. mitreißend dar. Ihre Gegenspielerin, Pia v. E., erfüllte die Rolle der Mutter aufs Überzeugendste mit eiskalter Arroganz. Die kommentierenden Dienerinnen (Emily E., Julia J., Luise K.) schlugen sich mit keineswegs standesgemäßer Selbstsicherheit auf die Seite der Herrscherin, Elektras verbliebene Schwester Chrysothemis (Luka R.) führte als duckmäuserische Mitläuferin ihr resigniertes, angepasstes Schattendasein. Orestes (Sean F.), der Mann der Tat, verkörperte mit seiner inneren Ruhe Elektras Hoffnung und vermittelte auch dem Zuschauer die leise Erwartung auf ein Happy End, auf ein Ende des grässlichen Fluchs, der diese unschuldige junge Frau in den Abgrund ihrer Psyche treibt.
Und als diese Rechnung nicht aufgeht, ist Elektra endgültig allein. Nichts bleibt ihr, als äußerlich die Rolle der freien, erlösten Königstochter zu spielen und innerlich nichts als Leere zu haben.

Mit der gelungenen Inszenierung warf der Literatur- und Theaterkurs eine immer aktuelle Frage auf: Dürfen die Menschen sich treiben lassen von der Macht der Götter, sich und ihre eigene Verantwortung verbergen hinter scheinbar unausweichlichen Flüchen, sich im Ausleben ihrer Gefühle zum Werkzeug eines Schicksals zu machen, das sich in seiner unreflektierten, unaufgearbeiteten Grausamkeit selbst erfüllt? Oder liegt es in der Hand des Menschen, diese Kausalität zu durchbrechen und den eigenen Weg frei zu gehen?
Ist gerade das Vergessen nicht manchmal die größte Fähigkeit der Menschen?

C. Spieth